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Hochbegabung und ADHS

23. Dezember 2019

Hochbegabung und ADHS – zwei Phänomene, die bei Kindern oftmals verwechselt werden. Oft ist die Unterscheidung für den Laien schwierig, ob ein Kind unter Hochbegabung oder an einer Konzentrationsproblematik sprich ADHS leidet. Zudem kann es auch vorkommen, dass beides vorhanden ist. Doch während die Hochbegabung ab einem Intelligenzquotienten von 130 beginnt und Menschen mit einem Intelligenzquotienten ab 115 durchaus auch ähnliche Verhaltensmuster zeigen können, zählt diese nicht als psychische Erkrankung. Eine überdurchschnittliche Intelligenz ist schließlich keine persönliche Einschränkung, sondern eher eine sehr positive Fähigkeit.

Dennoch benötigt diese besondere Förderung, denn ähnlich wie bei einer Konzentrationsproblematik kann das Kind hier durch Unaufmerksamkeit oder Problemen in der Arbeitshaltung Auffälligkeiten in seinem schulischen und familiären Alltag zeigen. Kinder mit AD(H)S können sowohl einen Intelligenzquotienten vom niedrigen bis überdurchschnittlichen/hochbegabten Bereich aufweisen. Hochbegabung kann also AD(H)S als Komorbidität aufweisen.

Definition von ADHS

Kinder mit einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ADS) bzw. hyperkinetischen Störung (ADHS) können über ein antriebsarmes bzw. antriebsgesteigertes Temperament mit geringer Frustrationstoleranz verfügen. Es ist von einer unstrukturierten, wenig ausgeprägten Problemlösestrategie auszugehen, da bereits leichte Frustrationen sehr viel Stress erzeugen, der zeitnah in externalisierendem Verhalten kanalisiert wird (Wegträumen, Abbrechen der aktuellen Tätigkeit, Unfähigkeit, diese zeitnah wieder aufzunehmen, impulsivem Verhalten mit geringer Frustrationstoleranz etc.). Da diese Kinder sich nur schwer selbst strukturieren und motivieren können und keine Anleitung im Bereich vom Ausbau sozialer Kompetenzen in der Schule erfahren, können sie hier keine Kompetenzen aufbauen.

Es ist von einem leicht ablenkbaren und unkonzentrierten Verhalten in Kombination mit einer gestörten Impulskontrolle auszugehen, da bereits leichte Ablenkungen sehr viel Konzentrationsverlust erzeugen, der zeitnah in externalisierendem Verhalten kanalisiert wird. Da die betroffenen Kinder sich nicht gut organisieren können und keine Interventionen von Lehrern auf ihr zerstreutes und ablenkbares Verhalten erfahren, können sie keine Handlungsalternativen entwickeln. Durch diese fehlende Hilfestellung kommt es zu einer Automatisierung ihres Verhaltens, so dass die Kinder diesen Kreislauf nicht eigenständig durchbrechen können.

Eine Unterstützung durch geschulte Eltern und Lehrer ist daher wünschenswert und für eine positive Entwicklung und Ausschöpfung des Leistungspotentials notwendig.

Offizielle Diagnose von ADHS nach ICD

Im Gegensatz zur Hochbegabung ist eine Konzentrationsproblematik jedoch eine psychische Auffälligkeit, die im ICD-10 ((International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) wie folgt kodiert werden kann:

  • F90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
  • F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
  • F90.8 Sonstiges hyperkinetische Störungen
  • F90.9 Hyperkinetische Störung, n.n.b.
  • F98.9 Nicht näher bezeichnete Verhaltens- oder emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

Diagnostik von Hochbegabung und ADHS

Diagnostik von ADHS

Eine professionelle Diagnostik sollte folgende Punkte beinhalten:

  • Eingehende Befragung der Eltern der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu Punkten wie Lebenssituation, Krankheitsgeschichte und eventuelle familiäre Vorbelastung
  • körperliche Untersuchung und neurologische Untersuchungen der Fein- und Grobmotorik, der Bewegungskoordination sowie der Sinnesorgane
  • Im Bedarfsfall erfolgt eine testpsychologische Untersuchung zu Begabung, Intelligenz- und Aufmerksamkeit sowie eine Überprüfung schulischer Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen
  • Untersuchung der emotionalen und sozialen Entwicklung
  • Verhaltensbeobachtungen und -bewertung aus Alltagssituationen von Personen wie Eltern, Verwandten, Lehrern, Erziehern, Kinder- und Jugendarzt, Freunden etc.
  • Eventuell weitere Untersuchungen: evtl. Messung der Hirnströme (EEG) und der Herztätigkeit (EKG) sowie Blutuntersuchungen (u.a. großes Blutbild, mehrere Schilddrüsenparameter, insbesondere bei geplanter Medikamentengabe)

Da Kinder mit einer Hochbegabung aber auch ähnliche Symptome durch Unterforderung und daraus resultierender Langeweile zeigen können, ist eine Diagnostik mit dementsprechender Differentialdiagnostik bzgl. einer Aufmerksamkeitsproblematik ratsam.
Anhand eines Intelligenztests kann man z.B. neben der Intelligenz auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit messen, an der man auch die Konzentrationsspanne des Kindes definieren kann. Zudem wird bei dem Verdacht auf eine Konzentrationsproblematik mit weiteren Tests zur Messung der Konzentration gearbeitet, wie auch mit Fragebogen-Verfahren für Eltern, Lehrer und ab 11 Jahren den Kindern, um die Symptomatik weiter explorieren und eine sichere Diagnose stellen zu können.

Das Verhalten von Hochbegabten wir oftmals durch externe Faktoren beeinflusst. Die Anpassung des Verhaltens führt manchmal erst recht zu einer Verwechslung von Hochbegabung und ADHS.

– der Angst bzw. dem Gefühl der Andersartigkeit
– Entstehung von sozialem Stress durch Umfeldbedingungen
Somatisierung (die sogenannte klinische Fehlanpassung des Verhaltens)
– besondere (unkomplizierte oder komplizierte) Einstellung zu Erziehern oder Lehrkräften
– dem Gefühl der höheren Leistungsfähigkeit

Im Gegensatz zu der F90.0 Einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, bei der sich die Kinder eher ´wegträumen` und unkonzentriert sind, sind die nachfolgenden hyperkinetischen Störungen auch durch impulsives, aggressives und regelverletzendes Verhalten gekennzeichnet.

Diagnostik von Hochbegabung -woran erkennt man Hochbegabung?

Was sind typische Anzeichen und Merkmale von Hochbegabung? Es kursieren unendlich viele Checklisten im Netz, die suggerieren eine Diagnose von Hochbegabung wäre aufgrund von einigen Verhaltensmerkmalen möglich. Beispielhaft seien hier folgende genannt:

  • ein intelligentes Kind ist schnell gelangweilt
  • hochbegabte Kinder wirken manchmal unkonzentriert
  • Hochbegabte sind oftmals perfektionisitisch
  • spielt eher mit älteren Kindern als mit Gleichaltrigen
  • selbstständiges Verknüpfen von Fakten
  • zielorientiertes und sehr selbstständiges Arbeiten

Diese vermeintlich typischen Anzeichen lassen aber keine eindeutige Diagnose zu. Hochbegabung bzw. kognitive Hochbegabung läßt sich ausschließlich mit Hilfe von wissenschaftlichen Testverfahrung, Intelligenztest, messen.

Therapie von ADHS

Ist eine Konzentrationsproblematik festgestellt worden, so kann therapeutisch und medikamentös zur Reduzierung der Symptomatik gearbeitet werden. Im medikamentösen Bereich wird in den meisten Fällen mit Methylphenidat gearbeitet, therapeutisch häufig durch verhaltenstherapeutische Therapieprogramme (z.B. AD(H)S-Eltern-Coaching und AD(H)S-Manualen für Kinder und Jugendliche).

Mögliche Therapieziele können beispielartig sein:

Therapieziele des Patienten bei ADHS

  1. Verbesserung der selektive und geteilten Aufmerksamkeitsleistung
  2. Steigerung der Konzentrationsfähigkeit und der Impulskontrolle im Klassenkontext (Unkonzentriertheit, Wegträumen etc.)
  3. Erweiterung der Konfliktlösefähigkeiten beim Zeitmanagement
  4. Erhöhte Frustrationstoleranz bei unstrukturierter Aufgabenstellung in der Schule (und Steigerung der Motivation bei konzentrationsschwierigen Aufgaben)

Therapieziele der Eltern bei ADHS

  1. Entwicklung eines adäquaten Störungsmodells
  2. Verbesserung der Erziehungskompetenz der Eltern, Umgang mit Verstärkern
  3. Unterstützung des Kindes in seinem Lebensalltag, d.h. bessere Organisation von schulischen und familiären Anforderungen mit gesteigerter Konfliktlösekompetenz

Schulzentrierte Therapieziele

  1. Entwicklung eines adäquaten Störungsmodells
  2. Verbesserung der Erziehungskompetenz der Lehrer, insbesondere Erarbeitung von Möglichkeiten Förderung für die Konzentration (Verstärkerpläne etc.)
  3. Unterstützung des Kindes in seinem schulischen Lebensalltag, d.h. bessere Organisation von schulischen Anforderungen

In der praktischen Therapie-Umsetzung würde dies bedeuten:

Kindzentrierte Therapie

  • Aufbau einer vertrauensvollen Therapeut-Kind-Beziehung
  • Psychoedukation
  • Steigerung der Konzentrationsfähigkeit (Punkte-Plan aus THOP*, Verstärkerpläne in Schule und Familie)
  • Selbstinstruktionstraining und Selbstmanagement (angelehnt an THOP mit Ärger-Liste, `Was ist schön-Tagebuch)
  • Selbstständige Bewältigung von zukünftigen Verhaltensproblemen (bzgl. Hausaufgaben und Verhalten in der Klasse ´Wettkampf um lachende Gesichter´ bzgl. Impulsivität, Verträumtheit und Unruhe)
  • Erarbeitung eines Anforderungsprofils in der Schule

*Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten THOP (Döpfner, 2007)

Elternzentrierte Theapie

  • Psychoedukation und Erarbeitung eines gemeinsamen Störungskonzepts anhand der Materialien aus THOP
  • Aufbau einer vertrauensvollen Therapeut-Eltern-Beziehung
  • Analyse von aufrechterhaltenden Bedingungen im Erziehungsverhalten (in Anlehnung an Makroanalyse)
  • Ausbau konstruktiver Erziehungsstrategien in Bezug auf Steigerung sozialer und emotionaler Kompetenz bei Kindern (Etablierung klarer Familienregeln THOP, sowie Strukturierung problematischer Situationen)
  • Einübung von wirkungsvollen Aufforderungen und Interventionen angelehnt aus dem Therapieprogramm Angeleitete Selbsthilfe für Eltern bei ADHS im Kindesalter
  • Etablierung eines Verstärkersystems bei problematischen Situationen (Punkte-Plan aus THOP, Token-System)

Schulzentrierte therapeutische Maßnahmen

  • Aufbau einer vertrauensvollen Therapeut-Lehrer-Beziehung Psychoedukation und
  • Erarbeitung eines gemeinsamen Störungskonzepts anhand der Materialien aus Therapieprogramm Angeleitete Selbsthilfe für Eltern bei ADHS* im Kindesalter- Anleitung für schulischen Austausch bzgl. Verstärkerplan im Unterricht und
  • Wirkungsvolle Aufforderungen bzw. Strukturierungen des Kindes bzgl. Hausaufgaben-Situation und im Unterricht

*Angeleitete Selbsthilfe für Eltern bei ADHS im Kindesalter (Kinnen et.al.; 2011)

Spezielle Förderung für Kinder mit Hochbegabung

Kinder mit Hochbegabung benötigen im Gegensatz dazu spezielle Förderung, z.B. anspruchsvollere Aufgaben oder auf ihre Neigungsgebiete abgestimmte Förderprogramme. Dies können auch durch Junior-Universitäten oder individuelle Angebote von städtischen oder privaten Trägern initiiert sein. Eltern sollten hier die Balance zwischen dem `Zulassen des Kindseins´ und der Unterstützung der kognitiven Stärken des Kindes finden.

Hochbegabung und ADHS Links zum Thema: Intelligenztest für Kinder bei HochbegabungDiagnose und Behandlung von ADHS


Foto: © Varina Patel / stock.adobe.com

Jan Bohlken ist seit 2002 in der Begabungsdiagnostik von Kindern und Jugendlichen aktiv. Die Begabungsanalyse spielt auch in seiner Tätigkeit als Studien- und Berufsberater eine wesentliche Rolle. Intelligenztestungen für Kinder ab 6 Jahren bietet das Profiling Institut, dessen Inhaber er ist, seit geraumer Zeit in professionellem Rahmen an. Herr Bohlken befindet sich aktuell in der Weiterbildung zum ECHA-Coach, eine Spezialausbildung für das Coaching von Hochbegabten.

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