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Hochbegabung und Autismus

6. Januar 2020

Hochbegabung und Autismus – zwei Phänomene, die seit dem Film „Rainman“ mit Dustin Hoffman und Tom Cruise oftmals in einem Atemzug genannt werden. Bei einigen Autisten gewinnt man den Eindruck, dass eine Hochbegabung vermehrt auftritt, da diese in Spezialgebieten sehr versiert sind und somit über einen großen Wissensschatz verfügen. Unter Autisten gibt es natürlich auch hochbegabte Menschen, eine Häufung scheint aber statistisch nicht aufzutreten. Zudem ist bei Autisten wichtig zu unterscheiden, um welche Art von Autismus es sich handelt, da z.B. bei frühkindlichen Autisten eine Hochbegabung eher gering zu erwarten ist, während sie bei Asperger-Autisten auftreten kann – aber eben nicht muss.

Autismus ist eine sehr facettenreiche Erkrankung, es gibt hier nicht nur schwarz und weiß, sondern viele Grauzonen, die es im Alltag schwierig gestalten, Autisten genau zu definieren, wenn man nicht zu Fachpersonal gehört, die die Diagnostik beherrschen und Autisten durch u.g. Diagnostik-Instrumenten von hochbegabten Personen unterscheiden können. Zum besseren Verständnis daher eine Übersicht zum Thema Autismus und Hochbegabung.

Autismus – eine Definition

  • Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung
  • Autismus oder Autismus-Spektrum-Störungen sind Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung
  • Häufigkeit autistischer Störungsbilder: vermutlich ca. 1% der Bevölkerung
  • Häugifgkeit ist daher vergleichbar mit dem auftreten von Schizophrenie
  • Autismus-Spektrum-Störungen sind nicht selten
  • Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen
  • Diagnosestellung: die Diagnostik erfolgt durch spezialisierte Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder- und Jugendpsychiatrien oder Autismus-Therapiezentren

Überblick über Autismus-Störungsbilder nach ICD-10*

Die Übergruppeim ICD (ICD, englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) nennt sich F84.0 –  Tief greifende Entwicklungsstörungen, darunter werden alle autistischen Störungen zusammengefasst.

Darunter zählen:

  • F84.0 Frühkindlicher Autismus
    Vor allem vor dem dritten Lebensjahr sind hier schon Auffälligkeiten bei der betroffenen Person zu erkennen. Die soziale Interaktion und die Kommunikation sind eingeschränkt, es lässt sich stereotypes, repetitives Verhalten feststellen. Sonderinteressen können vorhanden sein, sind aber nicht immer zu beobachten. Die Sprache ist häufig verspätet erreicht, auch andere Meilensteine der Entwicklung können verspätet erreicht sein. Der Intelligenzquotient ist häufig im unterdurchschnittlichen Bereich angesiedelt. Phobien, Schlaf- und Essstörungen, Wutausbrüche und aggressives Verhalten kann komorbid ebenfalls beobachtet werden.
  • F84.1 Atypischer Autismus
    Beim atypischen Autismus im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus auch nach dem dritten Lebensjahr zu beobachten, auch kann die Diagnose vergeben werden, wenn nicht alle diagnostischen Kriterien erfüllt sind.
  • F84.5 Asperger-Syndrom
    Beim Asperger-Syndrom ist die wechselseitige soziale Interaktion eingeschränkt, zudem treten häufig Stereotypen und Sonderinteressen auf. Dies ist jedoch kein Muss. Es gibt auch Asperger-Autisten, die sich nicht mit einem speziellen Thema beschäftigen. Der Intelligenzquotient ist im durchschnittlichen bis überdurchschittlichen Bereich angesiedelt, eine Sprachentwicklungsverzögerung ist nicht zu beobachten.

Diagnostik von Autismus

Der Goldstandard für die Diagnostik von Autisten sind folgende Verfahren:

  • MBS und FSK (Fragebögen), der SRS (Fragebogen) erscheint ebenfalls sinnvoll
  • ADOS (Beobachtungsskala für Autistische Störungen)
  • ADI-R (Autism Diagnostic Interview – Revised, Diagnostisches Interview für Autismus – revidierte Version)

Zudem sollte ein Intelligenztest durchgeführt werden, bei dem man sowohl eine Hochbegabung feststellen kann wie auch differentialdiagnostisch zum Autismus mehr Sicherheit über die Begabung des Kindes/des Jugendlichen gewinnen kann. Ist ein Kind hochbegabt und autistisch, so bedarf es spezieller Förderung, um auf die besonderen Bedürfnisse des Kindes einzugehen
Meistens werden dazu der WISC-V oder K-ABC-II- Intelligenztests verwendet, weil sie die Erfassung kognitiver Teilleistungsstörungen ermöglichen. Für nonverbale Menschen kann der SON-R-Test oder CFT1 /CFT20-R verwendet werden.

Generell gilt zudem das Kriterium, dass ein auffälliger ADI-R oder ADOS auch einen unauffälligen ADI-R/ADOS überwiegen kann!!!

Merkmale von Autismus-Spektrum-Störungen

Die Merkmale von Autismus-Spektrum-Störungen lassen sich gut mit der so genannten „Theory of Mind“ beschrieben werden. Dieser Begriff beschreibt folgende typischen Merkmale:

  • Autisten fällt es schwer, soziale und emotionale Signale einschätzen
  • Autisten ist nicht ersichtlich, was die eigentlichen Absichten oder Wünsche des Gegenübers sind
  • Die Empathie ist eingeschränkt, Mitgefühl ist schwierig für autistische Menschen.
  • Autisten fällt es schwer, soziale und emotionale Signale auszusenden.
  • Die eigene Wirkweise von Kommentaren oder Verhaltensweise anderen Menschen gegenüber ist für autistische Menschen nicht abschätzbar
  • Für autistische Menschen ist der eigene Kenntnisstand oft der, den das Gegenüber auch hat. Sind hier Defizite vorhanden, kann der autistische Mensch dies oft nicht nachvollziehen und diese Lücken auch nicht füllen (z.B. Informationen mit dem Gegenüber austauschen, wenn diese nicht vorhanden sind)
  • Ob Interesse am eigenen Thema vorhanden ist, ist für viele Autisten häufig schwierig einzuschätzen. So kann das Spezialthema für die Mitmenschen nicht so hoch spannend sein, wie vom Autisten eingeschätzt. In vielen Fällen ist die Bereitschaft dazu auch gering, dass das Thema dementsprechend auf das Gegenüber angepasst oder geändert wird.

Förderung von Autisten

Autismus entspricht einem Behinderungsgrad von 50-80%. Für die individuelle Förderung heißt dies, dass das Jugendamt über den §35a Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche leistet. Hier können sowohl Hilfen zur Erziehung (flexible Erziehungshilfe, sozialpädagogische Familienhilfe), heilpädagogische Tagesgruppen, Integrationshilfen oder andere Therapieformen eingesetzt werden.

Schulisch können betroffene Kinder und Jugendliche sowohl auf Regelschulen, wie auch auf Förderschulen beschult werden. Dies hängt vom Entwicklungsstand, dem Intelligenzquotienten und den persönlichen Bedürfnissen ab. Generell ist eine Förderung des Kindes in jedem Entwicklungsstand sinnvoll und erleichtert die weitere Eingliederung.

Autisten können in der späteren Beschäftigung von einer Werkstatt für angepasste Arbeit bis zum akademischen Abschluss und einem dementsprechenden Beruf ihren Platz in der Gesellschaft finden. Gerade bei Asperger-Autisten gibt es häufig Menschen, die im Alltag nicht als Autisten erkannt werden und einem ganz normalen Leben nachkommen können, ohne Auffälligkeiten zu zeigen. Diese werden meistens erst durch Berührungspunkte mit Fachleuten festgestellt, oft werden viele Asperger-Autisten aber gar nicht erkannt, weil sie nie diagnostisch im psychiatrischen Bereich vorgestellt wurden.

Bekannte Autisten – Hochbegabung und Autismus

Wie die folgende Liste zeigt, gibt es immer wieder PErsonen mit Autismus-Spektrum-Störungen, die über eine Hochbegabung oder besondere Begabungen verfügen:

  • Greta Thunberg
  • Michael Burry
  • Isaac Newton
  • Anthony Hopkins
  • Bill Gates
  • Albert Einstein
  • Nikola Tesla
  • Marie Curie
  • Charles Darwin
  • Karl Lagerfeld
  • Wolfgang Amadeus Mozart
  • Janosch
  • Vincent van Gogh

Wie schon oben genannt, sind finden sich häufiger Männer unter den Autisten. Es lässt sich aber auch die These aufstellen, dass autistische Frauen ihre Lücken in der zwischenmenschlichen Kommunikation besser überspielen können.


Foto: © contrastwerkstatt / stock.adobe.com

Jan Bohlken ist seit 2002 in der Begabungsdiagnostik von Kindern und Jugendlichen aktiv. Die Begabungsanalyse spielt auch in seiner Tätigkeit als Studien- und Berufsberater eine wesentliche Rolle. Intelligenztestungen für Kinder ab 6 Jahren bietet das Profiling Institut, dessen Inhaber er ist, seit geraumer Zeit in professionellem Rahmen an. Herr Bohlken befindet sich aktuell in der Weiterbildung zum ECHA-Coach, eine Spezialausbildung für das Coaching von Hochbegabten.

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