„Ich bin nicht verrückt – meine Mutter hat mich testen lassen!“ Diesen legendär gewordenen Satz legte das US-amerikanische Produzenten-Duo Lorre/Prady dem fiktiven Charakter Dr. Dr. Sheldon Cooper in den Mund. Er ist Hauptakteur der Comedy-Serie „The Big Bang Theory“, die sich um überdurchschnittlich begabte Wissenschaftler dreht. Doch in der Komik des Gezeigten steckt ein ernsthafter und oft recht bitter schmeckender Kern – denn mit Hochbegabung zu leben ist weder für die Betroffenen noch für ihr Umfeld einfach.
Eine Frage der Achtsamkeit
Für das Verständnis unseres Textes spielt es keine Rolle, ob Sie die oben erwähnte Serie kennen. Sie dient lediglich als Beispiel dafür, wie sehr Hochbegabung Außenstehende verunsichern kann und welche Probleme ein solches Talent bereitet. Meist gelten Betroffene als Sonderlinge und werden auch als solche behandelt – ohne dass ihr Potenzial erkannt und gefördert wird.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Mit Hochbegabung verhält es sich wie mit jeder außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit: Liegt sie brach, verkümmert sie wie ein ungenutzter Muskel. Darüber hinaus bleiben ihre Begleiterscheinungen ein Mysterium und führen zu einem falschen Umgang mit Hochbegabten – der seinerseits Verhaltensauffälligkeiten fördert.
Indem Coopers Mutter Mary ihren Sohn testen ließ, handelte sie doppelt klug. Einerseits konnte sie dadurch gezielter auf seine speziellen Bedürfnisse eingehen; andererseits bekam sie die Chance, ihr eigenes Verhalten darauf abzustimmen. Von einer möglichen Hochbegabung ahnte sie zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nichts. Was also hatte sie veranlasst, die Prüfung vornehmen zu lassen?
Anhaltspunkte für Hochbegabung
Hochbegabte Kinder zeigen eine Reihe „typischer“ Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen, die einzeln oder gemeinsam auftreten können. Je mehr sich in einer Person versammeln, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Hochbegabung vorliegt – also die Fähigkeit, auf bestimmten Gebieten überdurchschnittlich gute Leistungen erzielen zu können.
Die Kennzeichen sind wie das betroffene Kind sehr individuell und stehen bei vielen Wissenschaftlern in der Kritik. Für sich genommen sagen sie nichts über eine mögliche Hochbegabung aus; liefern jedoch Anhaltspunkte dafür, einen entsprechend ausgerichteten Test machen zu lassen und vorhandene Potenziale zu erkennen.
Als Merkmale einer Hochbegabung gelten u.a.
- geringes Schlafbedürfnis
- frühes Sprechen
- früh erwachendes Interesse an Symbolen, Zahlen und Buchstaben
- selbstständiger Erwerb von Fähigkeiten, die gewöhnlich einer Anleitung bedürfen (z.B. Lesen, Klavierspielen)
- vielfältiges, oft altersübergreifendes Interesse an der Umgebung
- große Freude am LernenAbneigung gegenüber Gruppen- oder Kinderspielen
- bevorzugte Gesellschaft älterer Kinder oder Erwachsener
- rege Fantasie, die zur unkonventionellen Lösung intellektueller Problemstellungen führt
- komplexe, aufeinander aufbauende Fragen
- gutes Erinnerungsvermögen
- stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der gelegentlich ins Tragikomische abgleitet (z.B. wenn das Kind einen Erwachsenen maßregelt oder ihn auf Verbote aufmerksam macht)
- hohe Sensibilität gegenüber zwischenmenschlichen Schwingungen oder Spannungen
- Bedürfnis, in Entscheidungen einbezogen zu werden und mitsprechen zu dürfen
Mögliche Folgen unerkannter Hochbegabung
Die genannten Anzeichen treten häufig „gebündelt“ auf und prägen das allgemein vorherrschende Bild vom hochbegabten Kind: altklug, verschroben und ohne soziale Kontakte. Weil die besondere Gabe auf viel Unverständnis stößt, fühlen Betroffene sich oft abgelehnt und entwickeln ein mangelndes oder stark schwankendes Selbstbewusstsein.
Die Stereotype kann jedoch auch ganz schnell ins Gegenteil umschlagen und zu Fehldiagnosen führen. Dabei gibt es auffallende Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Während hochbegabte Jungen oft in die Rolle des Klassenkaspers oder Störenfrieds abrutschen, bilden hochbegabte Mädchen diffuse Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, aber auch Ess-Störungen aus.
Dazu kommt, dass einige Merkmale der Hochbegabung den Symptomen von AD(H)S, Legasthenie und Asperger bzw. Autismus-Spektrum-Störungen ähneln – oder sogar gemeinsam mit diesen Besonderheiten auftreten können.
Intelligenztest – ein kleiner Test mit großer Wirkung
Umso wichtiger ist es, das Potenzial Ihres Kindes zu erkennen und es auf Hochbegabung testen zu lassen. Dafür stehen seit 1966 die sogenannten „Hamburg-Wechsler-Intelligenztests für Kinder“(HAWIK) zur Verfügung. Sie basieren auf der Arbeit des US-amerikanischen Psychologen David Wechsler und sind für das Alter von 6 bis 16 Jahren konzipiert.
In Anlehnung an die englischsprachige Ursprungsversion werden die HAWIK seit 2011 unter dem Originalnamen „Wechsler Intelligence Scale for Children“ (WISC) vertrieben. Ihre aktuelle Version ist die überarbeitete und vereinfachte Fifth Edition WISC-V. Mit ihrer Hilfe lassen sich sechs Kennwerte der Intelligenz ermitteln:
- das visuell-räumliche Denken
- das fluide Schlussfolgern
- die Verarbeitungsgeschwindigkeit
- das Arbeitsgedächtnis
- das Sprachverständnis
- der Gesamt-IQ-Wert
Die Summe der Werte gibt Ihnen Aufschluss über den Entwicklungsstand Ihres Kindes und eventuell angezeigte weitere Tests. Anhand der Ergebnisse erhalten Sie gezielte Aussagen über individuelle Stärken bzw. Schwächen Ihres Nachwuchses und die optimale Förderung bestehender Hochbegabung.
Der Aufwand für einen solch spezialisierten Test hält sich in Grenzen. Nach Angaben der Entwickler und Anwender nimmt er 60-90 Minuten in Anspruch. Eine Zeitspanne, in der die Weichen für eine erfüllende Zukunft gestellt werden können – weil Sie offen genug waren, Ihr Kind auf Hochbegabung testen zu lassen und ein schlummerndes Talent zu wecken.
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